Micro Moment Erdbeerkuchen – Digital Woodpecker Teletalk 10/17

Wer nicht über ausreichend Kundendaten verfügt oder zu spät kommt beim Kaufimpuls, der ist künftig raus im Kampf um Konsumfenster. Google prophezeit in seinem Bild der Micro Moments nur denen eine Zukunft, die es als Anbieter schaffen, genau den Moment im Leben ihrer Kunden abzupassen wenn sich ein Fenster für ihr Angebot öffnet. Das sind kurze Augenblicke, in denen der Konsument etwas will, sucht oder kauft. Wer wissen will wie das funktioniert, der kann beobachten wie Amazon zur Zeit über seine beiden Dienste Amazon Fresh und Prime Now den Market für Online-Lebensmittel aufrollt.

Deutschland ist bislang noch Entwicklungsland für Lebensmittelkäufe online: Nur ein Prozent bestellen im Netz im Vergleich zu fast sieben Prozent in Großbritannien. Deutsche Kunden gehen lieber in den Supermarkt weil sie Mehrkosten ablehnen, weil der Bedarf spontan entsteht, die Zutaten fürs Abendessen erst in der Mittagspause oder auf dem Heimweg gekauft werden oder weil sie der Auswahl nicht trauen („Packt der Mitarbeiter die Avocado, die ich auch genommen hätte?“). Amazon hat darauf eine Antwort: Prime Kunden können für zusätzliche 9,99 Euro im Monat ihr Abo erweitern und unbegrenzt Lebensmittel bestellen ohne Versandkosten ab 40 Euro Mindestbestellwert. Wer mittags ordert bekommt die Ware am selben Abend nach Hause geliefert. Prime Now in Berlin und München liefern gegen Aufpreis sogar innerhalb von einer Stunde oder kostenlos in einem Zwei-Stunden-Zeitfenster. Amazon hat im Vergleich zu Rewe’s Onlineversuchen einen strategischen Vorteil: Der Onlinehändler kennt die Bedürfniswelt seiner Prime-Kunden längst und kann daraus präzise Nutzerprofile ableiten und Impulse vorhersagen. Der Handelsriese lernt täglich dazu und weiß inzwischen genau, welches Hungergefühl in welchem Stadtviertel wann bei welchem Kundentyp gestillt werden will. Er hat seine Logistik darauf ausgerichtet, verknüpft geschickt online mit offline und kooperiert mit regionalen Händlern. Über den Bäcker um die Ecke lernt Amazon auch die Kundenwünsche vor Ort kennen und kann Kassenschlager, wie den veganen Erdbeerkuchen der Münchner Konditorei später als Eigenmarke nachahmen. In der Auswahl von Kartoffelsorten müssen die Kunden nicht mehr hinschauen oder anfassen, sie orientieren sich online an den Empfehlungen ihrer Nachbarn oder Gleichgesinnten.

Amazon profitiert in diesem Datenuniversum von der Stärke seiner künstlich neuronalen Netze (KI) und der Verknüpfung von Online- und Offline-Daten, denn der Kunde kauft, adhoc oder geplant, online oder lokal, aufgrund eines Impulses, mehr oder weniger beeinflusst durch Historie, Verhaltensmuster, Einstellungen oder Werte. Der Einfluss auf seine Kaufentscheidung ist vielfältig und ohne KI-Unterstützung nicht mehr zu entschlüsseln. Die KI-Algorithmen erkennen Muster aus bestehenden Datensätzen erkennen, klassifizieren Daten und treffen Vorhersagen, besser als der Kunde selbst seine Impulse vorhersagen könnte. Unternehmen wie Amazon werden smarte Verhaltensanalysen ausbauen, um ihren Kunden einen Schritt voraus zu sein. Wer seine Hausaufgaben im Vorfeld macht, der muss im Erstkontakt nicht mehr fragen was der Kunde fürs Sonntagsfrühstück braucht, welches Fertighaus oder Soundsystem für ihn in Frage kommt. Wer weiß, vielleicht klingelt es bald schon unerwartet an Ihrer Tür und der Bote reicht Ihnen den Erdbeerkuchen, an den Sie gerade beim Kaffee kochen gedacht haben.

Verena Fink, Gründerin von Woodpecker Finch ist Expertin für kundenzentrierte Innovation und künstliche Intelligenz. Sie berät, coached und begleitet Unternehmen auf dem Weg in die Digitale Welt. Im DIGITAL WOODPECKER teilt sie Impulse aus dem Silicon Valley und ihre langjährigen Erfahrungen aus dem digitalen Wandel von Unternehmen.