Die Aufholjagd hat begonnen – Kolumne im DUB UNTERNEHMER-Magazin

Ärzte können in Deutschland erstmals Gesundheits-Apps verschreiben, zum Jahreswechsel kommt die elektronische Patientenakte und 2022 das E-Rezept: Digital Health nimmt hierzulande spürbar Fahrt auf. Endlich, mag manch einer sagen.

Das Rückgrat von Gesundheitssystemen wird digital; menschliche Wertschöpfung werden wir nur noch dort einsetzen, wo sie echten Mehrwert bringt: Mit dieser provokanten These konfrontierte mich kürzlich ein asiatischer Investor. Überrascht war ich nicht, denn digitale Gesundheit zählt offensichtlich nicht nur in Deutschland zu den Krisengewinnern. Neu ist Digital Health allerdings nicht. Corona hat nicht die Innovation geschaffen, sondern vielmehr den Zugang dazu erleichtert. Viele Lösungen waren längst verfügbar, jedoch die Anbieter mehr mit der Regulierung im System als mit der technologischen Machbarkeit beschäftigt.

GOLDGRÄBERSTIMMUNG

Ohne Zweifel hat die Coronakrise auch Analog-Verfechter erkennen lassen, welche Rolle digitale Datenanalyse spielen kann, um die Ausbreitung der Pandemie zu prognostizieren und sie intelligent einzudämmen. Kein Wunder, dass im Markt Goldgräberstimmung herrscht – vor allem bei den Anbietern digitaler Gesundheitslösungen, die auf Interpretation von Daten zur Prävention, Fernüberwachung oder Fernbehandlung setzen. Auch bei Apps zur Prävention und digitalen Therapeutika wird eine steigende Nachfrage erwartet.

Profitieren kann auch das medizinische Personal. Denn ein Arzttermin per Skype kann nachweislich keinen Erreger übertragen. Auch der Patient ist geschützt, wenn er seine Zeit nicht in Wartezimmern mit anderen Patienten verbringt. Je besser die virtuelle Arzt-Erfahrung, desto leichter werden Patienten zu Hause bleiben und durch effizientere Behandlung die Gesundheitssysteme entlasten. Die Arztpraxen haben trotzdem noch lange nicht ausgedient: Experten schätzen, nur bis zu 15 Prozent aller plötzlich auftretenden Beschwerden sind auf Distanz behandelbar.

HÜRDEN REDUZIEREN

Auf Seiten der Nutzer, also der Patienten, verwenden heute schon weltweit mehr als 800 Millionen Menschen digitale Gesundheitsdienste. Das aktuelle Wachstum wird jetzt auch durch reduzierte Gebühren oder kostenlose Angebote getrieben, von Anbietern, die aktuell vor allem ihre Reichweite steigern wollen, um sie später zu monetarisieren. Viele Digital-Health-Start-ups in Deutschland hoffen, dass strenge Vorschriften unter dem Druck, die Infektionszahlen niedrig zu halten gelockert werden. Das könnte Hürden etwa beim Marktzugang oder bei den Sicherheits- und Datenschutzvorschriften reduzieren.

Skeptische Stimmen fand ich nur vereinzelt in der Pharmabranche und bei Risikokapitalgebern. Sie vermuten ganz nüchtern, dass durch die weltweite Rezession weniger Geld auf dem Markt sein wird, um Investoren anzuziehen. Einig sind sich dagegen alle in der Gesundheitsbranche, dass der deutsche Digital-Health-Markt international hinterher hinkt – egal, ob bei E-Rezept oder Telemedizin. Corona gibt uns die Chance aufzuholen.