Die Mär vom Multichannel – Digital Woodpecker Teletalk 8/17

Im Kundendialog ist das Ziel, den Kunden auf allen Kanälen reibungsfrei abzuholen, ganz nach seinem Gusto immer und überall. Da preisen sich Unternehmen als Omnichannel Player weil sie mehr als zwei Kontaktkanäle nutzen.

In der Diskussion wird dieser Ansatz häufig noch vermischt mit Multichannel oder Omnichannel als Geschäftsmodell mit mehreren Vertriebskanälen. Das ist heute weder eine Auszeichnung noch ein Erfolgsgarant. Trotzdem hält die Branche von Dienstleistern, Agenturen und Systemanbietern am Multichannel-Mythos fest und verweist auf Studien, die den Multikanal-Kunden als Cash Cow beschreiben weil er den höchsten Kundenwert hat. Die einfache Rechnung dahinter lautet: Je mehr Kontaktkanäle ich zum Kunden aufbaue, desto häufiger kann er den „kaufen“-Knopf drücken. Klingt schlüssig, ist jedoch kein Selbstläufer. Meine Kundenerwartung ist heute, auf jedem Kontaktkanal direkt zugreifen zu können, egal ob ich den Schal der Moderatorin im TV toll finde oder die Turnschuhe auf der Marken-Webseite. Rund wird es für mich aber erst dann, wenn ich die Marke auf meiner Kundenreise konsistent erlebe weil die Service-Leistungen gut verknüpft sind, weil ich springen kann zwischen den Kanälen und mich nicht erklären muss im Servicekontakt.

Jeder Kanal hat seine eigenen Regeln. Gründer setzen heute meistens auf Online für schnelles Wachstum. Sobald sie sich dort etabliert haben erweitern sie ihre Kanäle, nutzen klassische Werbung, um die Marke bekannt oder stationäre Läden, um sie erlebbar zu machen. Spätestens hier beginnt der Angriff auf etablierte Player. Die stehen dementsprechend unter Druck, Kanäle hinzuzufügen, um den Kunden stärker entgegen zu kommen. Verteidigung, die anstrengt, denn sie erfordert Premium auf jedem Kanal. Die Latte liegt hoch: Besser sein als der direkte Wettbewerber während mehr Mäuse, noch dazu jüngere, am gleichen Käse nagen.

Spaßbremse Nummer zwei für die gestandenen Unternehmen: Wer in einem Wachstumsmarkt erfolgreich sein will, wird erleben, dass allein sein wachstumstreibender Kanal über die Zukunft entscheidet. Die schlechte Nachricht: Perspektivisch wird Multichannel gegen Online verlieren, zumindest in Wachstumsmärkten. Woran das liegt? Stationäre Modelle sind deutlich behäbiger, sich Markt- und Technologieveränderungen anzupassen. So haben es etablierte Offline Unternehmen deutlich schwerer, online Boden gut zu machen als agile Online Player, die Pop-Up Stores eröffnen wie der Modeanbieter Outfittery, der seine Kunden schon mal in mobilen Verkaufsflächen an Flughäfen anspricht. Ist Outfittery deshalb Multichannel? Nein, E-Commerce Marken mit Pop-Up Stores oder Flagship Store bleiben Onlinehändler. Einzelhändler mit Filialsystem, die einen Onlineshop hinzufügen bleiben Einzelhändler.

Multikanal als Geschäftsstrategie ist per se noch keine Lebensversicherung. Wer Multichannel anstrebt, sollte in der Vielfalt vorab geklärt haben, welcher Kanal sein künftiges Zugpferd ist. Langfristig werden die Unternehmen erfolgreich sind, die ihren Wachstumskanal im Fokus halten und daneben mehrere Kanäle bedienen können, um Mehrwert für die Kundschaft zu schaffen. Mehrwerte in Form von attraktiven Services erfordern Spitzenklasse: Ein mittelmäßige Online-Journey oder eine magere Social Media Story enttäuscht am Ende über alle Kanäle.

Verena Fink, Gründerin von Woodpecker Finch ist Expertin für kundenzentrierte Innovation und künstliche Intelligenz. Sie berät, coached und begleitet Unternehmen auf dem Weg in die Digitale Welt. Im DIGITAL WOODPECKER teilt sie Impulse aus dem Silicon Valley und ihre langjährigen Erfahrungen aus dem digitalen Wandel von Unternehmen.