Retargeting im stationären Möbelhandel, KI als Booster für Anwendungen, dynamische Preisgestaltung: nur drei Anwendungsfelder für Künstliche Intelligenz im Jahr 2023.
Sicherlich sollte nicht der erste Griff zu einer KI-Lösung führen, wenn es darum geht, über Digitalisierung Effizienzvorteile zu heben oder Wachstum zu beschleunigen. KI wird dann interessant, wenn klassische regelbasierte Software-Systeme an ihre Grenzen kommen und Lernfähigkeit gefragt ist. Künstliche Intelligenz (KI) kann Maschinen zu intelligentem Denken, Agieren und Entscheiden befähigen, um eigenständig Probleme bearbeiten zu können. Solche Systeme können, bezogen auf einen trainierten Anwendungsfall empfehlen, erkennen, organisieren und generieren. KI-Systeme können sehr große strukturierte und unstrukturierte Datenmengen analysieren und darin Fehler, Gemeinsamkeiten, Abweichungen oder Muster erkennen.
In der Anwendung sehen wir KI-Lösungen heute häufig in der Personalisierung und Effizienzsteigerung:
1:1-Personalisierung
KI ist überlegen in ihrer Fähigkeit zur Personalisierung. Das, was wir heute in Onlineshops erleben oder durch Retargeting mit Werbebannern lässt sich auch auf analoges Einkaufen übertragen: Eine Kundin besucht ein Online-Möbelgeschäft und wird via App oder digitalen Screens von einer KI-Lösung begrüßt, die ihre Präferenzen von früheren Besuchen oder einen Online Interior Service anbietet und den tatsächlichen der Onlinesuche kennt. Die KI schlägt Möbel vor, die zu ihrem Stil passen, erinnert sie an Produkte, die sie in der Vergangenheit angeschaut und verglichen, aber nicht gekauft hat, und macht Empfehlungen auf der Grundlage aktueller Trends und Angebote, die ihren Vorlieben entsprechen.
Virtuelle Raumgestaltung
Inzwischen weithin bekannt ist Ikeas Place-App, die Kunden erlaubt, Möbelstücke virtuell in ihren eigenen vier Wänden zu platzieren. KI ist hier in eine Augmented-Reality-Anwendung (AR) integriert, damit der Nutzer den Schrank via App direkt in sein Wohnzimmer projizieren kann. Solche Tools, angereichert mit KI, machen Vorschläge für die Raumgestaltung, basierend auf den Dimensionen des Raumes, den Lichtverhältnissen und dem Geschmack des Nutzers.
Praxisbeispiel für Personalisierung und virtuelle Raumgestaltung: Apartmen
Apartmen – im Netz ursprünglich unter Apartmen.io, nun unter apart.men zu finden, startete im Herbst 2020 (INSIDE 1097). Das Hamburger Start-up von Louisa Verch und Marc Bartscht will Single-Männern die Gestaltung der eigenen vier Wände erleichtern. Der Online-Einrichtungsservice setzt neben anderen Technologien auch KI ein, um dem Kunden ein neues und komfortableres Einkaufserlebnis zu bieten. Der Einrichtungsvorschlag kann mit Augmented Reality in den eigenen vier Wänden des Kunden simuliert werden. Nach Erhalt des Einrichtungskonzepts bezahlt der Kunde ausschließlich die neuen Lieblingsstücke – unabhängig davon, ob er gleich das ganze Konzept im Paket oder nur einzelne Möbel bestellen möchte.
Für mich ein Vorbild, da Apartmen als erstes Unternehmen einen Online Interior Service anbietet und den tatsächlichen Einrichtungsprozess mit Technologie löst, wo andere noch mit Interior Designern arbeiten, und dadurch starke Skalierbarkeit und gutes Kundenverständnis durch Customer Cen-tricity bietet.
Praxisbeispiel für transparente Preise und einfache Planung: Kitchenadvisor
Der Hamburger Lead-Generator Kitchenadvisor bietet Kü-chenberatung von der einzelnen Küchenzeile bis zur Luxusküche. Nutzer finden dort Beratung, Konzeptentwürfe sowie Vermittlung an Küchenstudios (Partner) vor Ort. Seit Sommer letzten Jahres kooperiert Kitchenadvisor auch mit dem Verband KSV, ist aber nach wie vor für alle Küchenhändler nutzbar (INSIDE 1142/1143). Das Start-up setzt Technologien und KI ein, um mit den Wünschen und Skizzen der Kunden einen Küchenentwurf und Schätzpreis abzugeben.
Für mich ein Vorbild, da Kitchenadvisor den Mythos Küchen-preis durch transparente Preisgestaltung per „Vorab-On-line-Tool“ und Festpreis aufgebrochen hat. Ich sehe großes Potenzial im starken Händlernetzwerk der Datenbank. Toll für Nutzer: Die Art des klassischen Küchenkaufs ist hier neu gedacht und auf Kundenbedürfnisse abgestimmt. Das macht Küchenplanung, trotz Millimeterarbeit in der Planung, online und einfach.
Praxisbeispiel für KI im Unternehmenseinsatz: Tylko
Das polnische Möbel-Start-up Tylko will den Online-Kauf von Regalen und Tischen grundlegend verändern und setzt in internen Prozessen auf KI. Über einen Online-Konfigurator können individuelle Regalsysteme kreiert werden. Bereits seit 2017 setzt Tylko dabei auch auf Augmented Reality (INSIDE 1010). In der App können Kunden mit Hilfe von AR die Möbelstücke virtuell in ihrem Zuhause platzieren. Das Unternehmen wirbt damit, dass die Möbel für 100 Tage getestet und in diesem Zeitraum auch kostenlos zurückgesendet werden können. Für mich ein Vorbild, weil Tylko als großer Vorreiter als erstes D2C-Brand im Furniture-Bereich den Weg für andere geebnet und die Akzeptanz im Markt für D2C-Möbelbrands stark erhöht hat. Das sei auch erwähnt: Tylko ist eines der wenigen Möbelunternehmen mit einer sehr gut funktionierenden AR-Lösung.
Für B2B-Prozesse wird KI aktuell vor allem zur Effizienzsteigerung eingesetzt. Auch hier kann der Handel von der fortschreitenden Technologie profitieren. Auf diesen vier Feldern entwickeln sich für den Möbelhandel und die Möbelindustrie neue Möglichkeiten:
Effiziente Lieferkette
KI-Modelle können die Nachfrage nach bestimmten Bauteilen oder Materialien präzise vorhersagen, unter Einbeziehung unbegrenzter interner und externer Datenquellen. So können Zulieferer ihre Produktion und Logistik besser planen oder Just-in-time-Lieferungen sicherstellen. Möbelhändler wiederum können Überbestände reduzieren, Lieferzeiten anpassen und in der Folge Kosten senken.
Dynamic Pricing
Je nach Volatilität der Preise am Markt beziehungsweise in der Kette von Vorprodukten kann KI für die Berechnung dynamischer Preismodelle eingesetzt werden. Anhand von Marktdaten, Entwicklung von Preisen in der Lieferkette, Nachfrage und Angebot wird die KI optimale Preise vorschlagen oder sogar automatisierte Verhandlungen mit Abnehmern führen.
Qualität kontrollieren
In der Qualitätskontrolle kann KI beispielsweise Mängel oder Unregelmäqigkeiten in Möbelstücken erkennen. Mittels Bilderkennungstechnologie könnten Produkte und deren Oberflächen oder Dekore überprüft werden, um Abweichungen von Qualitäts- und Designstandards umfassend zu identifizieren.
Predictive Maintenance
Um Qualität geht es auch in der vorausschauenden Wartung von Maschinen und Komponenten für die Möbelproduktion. KI wird in solche Lösungen integriert, um den Zustand der Maschinen und die von ihr produzierten Bestandteile in Echtzeit zu überwachen. Durch die Analyse von Betriebsdaten kann die KI erwartbare Ausfälle und Qualitätsmängel vorhersagen. Betreiber können darüber die Lebensdauer der Maschinen verlängern und Produktionsausfälle minimieren.
Mein Tipp: Egal, wo Sie anfangen, suchen Sie sich einen Anwendungsfall, der klein genug ist, um nicht zu einer komplexen Endlos-Baustelle auszuufern. Zugleich sollte das Volumen so groß sein, dass es sich lohnt, dafür eine KI zu trainieren, und die Datenlage ausreichend gut, dass Sie nicht am ersten Datensilo einer veralteten IT-Struktur verzweifeln. Einfach: Machen!