Verlage, die ihre Produkte direkt vermarkten, müssen 1. Kundendaten sammeln und zu Profilen aufbereiten, 2. gezielt ihr Marketing personalisieren, 3. geeignete Shops einbinden und 4. multikanalig agieren. Im 5. Teil geht es u.a. darum, sich zu geschlossenen Plattformen positionieren.
Tech-Giganten wie Google, Amazon oder auch Airbnb haben Geschäftsmodelle geschlossener Plattformen entwickelt, die ihnen den Kundenzugang exklusiv sichern. Positiv formuliert verbinden sie auf der Plattform viele Parteien mit individuellen Stärken zu einem Ökosystem. Das heißt: Der Trend geht weg von linearen Wertschöpfungsketten hin zu Partnerschaften, deren Leistungen sich um die Bedürfnisse einer Kundenzielgruppe herum gruppieren und ergänzen.
Viele globale Player sind heute ein Teil von riesigen digitalen Ökosystemen, die nicht nur einzelne Branchen, sondern weite Teile der Wirtschaft revolutionieren. In diesen geschlossenen Systemen entstehen eigene Konsumwelten, die das Verhalten der Nutzer nachhaltig verändern. Dabei wird der Kunde mit seinen individuellen Bedürfnissen in den Fokus gestellt und zielgenau bedient, wo und wann immer es einen Konsumimpuls zu befriedigen gibt. Nutzer und Kunden, die mit einem Klick, in einer App oder mit einem Login ihre Lebenswelt organisieren, schätzen diese Bequemlichkeit. Amazon hat längst bewiesen, was das nicht nur für die Verlagsbranche bedeuten kann.
Experten schätzen, dass hingegen die Bedeutung singulären Websites, Online-Shops oder Apps in den nächsten Jahren massiv abnehmen wird. Je besser Unternehmen die Mechanismen großer Plattformen verstehen, desto eher lassen sich Strategien entwickeln, um den Zugang zu eigenen Kunden zu sichern und die Reichweite der großen Player zu nutzen.
Ohne Coopetition kein Ökosystem
Erfolgreiche Plattformen bringen datenbasiert Angebot und Nachfrage zusammen. Das Ökosystem besteht in der Regel aus einer Plattform mit leistungsstarken Algorithmen, dem Plattform-Betreiber, Anbietern und Konsumenten. Oft entsteht die Plattform aus einer starken Verbrauchermarke, der Kunden vertrauen. Modeversender Zalando ist dafür ein schillerndes Beispiel. Das Berliner Unternehmen, das vor 8 Jahren mit dem aggressiven Werbespruch „Schrei vor Glück, oder schick’s zurück!“ Schlagzeilen machte, ist heute eine mächtige Platt-form. Im europäischen Modemarkt versammelt Zalando Kunden, Marken, Händler, Hersteller, Stylisten, Influencer, Logistikunternehmen und Dienstleister. Zalando ist Herr der Daten, die aus jeder Transaktion an Wert gewinnen. Kein Wunder, wenn Zalando heute mit dem Verkauf von Daten mehr Geld verdient als mit Mode.
Für den Erfolg genügen drei Zutaten:
■ Kunden, die ein großes und saisonal aktuelles Sortiment mit maximaler Verfügbarkeit erwarten. Personalisierung erzeugt Kaufimpulse, wenn die Datenmaschine Vorschläge generiert, die inspirieren und relevant für den Nutzer sind.
■ Infrastruktur, die dafür sorgt, dass auf der letzten Meile alles wie am Schnürchen läuft: Von der Zahlung über Lieferung, Rücknahme und Kundenservice – es geht nichts über reibungslose Transaktion.
■ Markenpartner, die die Plattform für Kundenreichweite nutzen und auch von der 1A-Infrastruktur profitieren, um ihre Modebestände einfach auf der Zalando- Plattform anbieten. Vor allem aber profitieren sie vom Zugang zu Millionen Kunden, für die Zalando die erste Adresse ist, wenn es um Fashion geht.
Je mehr Partnermarken, desto mehr Kunden, desto mehr Marken: der Netzwerkeffekt. Zalando verkauft den Markenpartnern zusätzlich Services in Analytik, Werbung und Logistik.
Auch geschlossene Plattformen wie Zalando leben von Wettbewerb, schließlich erwarten die Nutzer, dort alle relevanten Modemarken zu finden. Coopetition, der Mix von Wettbewerb und Kooperation nützt den Kunden, aber auch den Anbietern. So wie Verlage auf Amazon mit anderen Anbietern um die Ansprache derselben Zielgruppen konkurrieren, profitieren sie zugleich von deutlich mehr Reichweite und Skalierbarkeit als in einem eigenen Onlineshop, der nur ein digitales Abbild des Programms darstellt ohne Ökosystem und Netzwerkeffekt.
Erschließung von Ökosystemen
Wann ist es für Verlage sinnvoll, sich in Ökosystemen zu positionieren? 3 Fragen können helfen, Ökosysteme zu erschließen. 1. Wo bewegen sich unsere Kunden heute? Verlage und Buchhändler sollten sich auf die Suche machen, wo ihre Zielgruppe zu finden und am besten anzusprechen ist. Wie viele ihrer Kunden sind heute schon auf Plattformen gebunden? Welche Rolle spielt die organische Suche im Netz? Wie wichtig sind kuratierte Angebote, Streaming-Dienste oder digitale Bezahlmethoden? Es geht darum, den relevanten Mehrwert von Angeboten und Services für den Kunden zu schärfen. Vermutlich ist die Vielfalt an Bezahlmethoden nur Mittel zum Zweck und weniger das wesentliche Bedürfnis der Kunden.
2. Wie gut ist die eigene Multikanalwelt aufgestellt? Wer noch keinen eigenen Fußabdruck in der Online-Welt vorweisen kann, der wird sich zweimal überlegen, ob er jetzt in den Aufbau eines eigenen Shopsystems investiert. Statt hoher Investitionen und Eintrittshürden können Verlage die bestehende Infrastruktur von Plattformen wie Amazon nutzen, direkt starten und somit schneller Gewinne erzielen. Auch das Argument der Reichweite spricht für den Marktplatz, da er deutlich bekannter ist als jeder neue Online- Shop zum Startpunkt des Go-Live.
3. Was macht uns für Kunden unverzichtbar? Präsenz auf einer Plattform schafft noch keine dauerhaften Kundenbeziehung. Sicherlich lassen sich hohe Summen für Marketing und Neukundenakquise einsparen, dafür bezahlen die Anbieter allerdings mit dem Verzicht auf Kontrolle und Kundenbindung. Viele Nutzer erinnern später nur den Namen der Plattform und nicht den Verkäufer. Daher lohnt es, vorab zu sondieren, welche Angebote und Services bei Kunden im Gedächtnis bleiben.
So lassen sich durch Kombinationen von Services und Partnerschaften relevante Lösungen für Kundenbedürfnisse entwickeln.
Netzwerk-Perspektiven
Schließlich sollten beim Thema Netzwerk auch jene Plattformen beobachtet werden, auf denen sich Leser untereinander oder Autoren und Leser miteinander vernetzen, Bücher empfehlen und vermitteln. Im Spektrum von Wattpad bis Mojoreads handelt es sich um Begegnungen im Ökosystem Buch.
Ein Blick nach China zeigt, in welch umfassendere Richtung sich Plattformen entwickeln können (hier losgelöst von den mit China und Digitalangeboten verbundenen politischen Überwachungsoptionen. Die von Tencent entwickelte Nachrichten- App WeChat ist jedenfalls für die meisten der 1,4 Mrd Chinesen das Zentrum ihrer digitalen Welt. Sie nutzen den Messenger für soziale Kontakte, digitale Assistenz, Online- Shopping und Payment. Chatten, Pizza bestellen, Flugreisen oder Arztermine buchen oder E-Roller entsperren. Unternehmen haben sich darauf eingestellt und ihr Online- Marketing neu ausgerichtet.
Auch Bücher gehören zum Kosmos, der Lesedienst WeChat Reader setzt auf unbegrenzte Lesemitgliedschaft und soziale Vernetzung:
■ Die Nutzer sehen Ranglisten der Lesegewohnheiten ihrer Freunde.
■ Sie können ihre eigene Lesezeit auf WeChat Moments teilen.
■ Freunde werden eingeladen, beizutreten, um in Gratis-Aktionen Bücher zu lesen.
■ Die Startseite im Account zeigt, wie Freunde aktuelle Bücher kommentieren.
■ Nutzer können durch Teilen und spezifisches In-App-Verhalten (z.B. tägliches Lesen) Punkte sammeln und gegen Bücher einlösen.
WeChat spielt mit gruppendynamischen Anreizen: Lesezeit ist in China Statussymbol, Leser sind stolz darauf, neue Errungenschaften ihrer WeChat-Momente zu zeigen. So entstehen virale Impulse, die ihrerseits mehr Nutzer und mehr Interaktion auslösen. Da ist er wieder, der Netzwerkeffekt und Zeit, das Prinzip auch für den deutschen Buchmarkt nutzbar zu machen.