Fitness-Tracker und Co. erfassen schon heute große Mengen an Gesundheitsdaten. Deshalb lebt aber niemand automatisch gesünder. Verena Fink, Geschäftsführerin der Beratung Woodpecker Finch, sagt, was es dazu braucht.
Fitness-Tracker und Co. erfassen schon heute große Mengen an Gesundheitsdaten. Deshalb lebt aber niemand automatisch gesünder. Verena Fink, Geschäftsführerin der Beratung Woodpecker Finch, sagt, was es dazu braucht.
Zur Autorin: Verena Fink hat Woodpecker Finch gegründet. Vor dem Aufbau der Beratung hat sie langjährige Managementerfahrung in den Branchen Handel, E-Commerce, Medien und FMCG gesammelt. Die Expertin für Customer Lifetime Value in der digitalen Transformation agiert neben ihrer Beratungstätigkeit als Unternehmerin im Bereich Zukunftsökonomie und Neuroscience-Marketing mit Start-up-Projekten in San Francisco rund um Künstliche Intelligenz, Sales-Optimierung sowie Lösungen für die Industrie 4.0. Sie ist Teil der Health-i Jury 2022.
Individualisierung der Gesellschaft lässt uns die Freiheit zu wählen. Wenn Politik oder Religion nicht mehr die Bedeutungshoheit für die Breite der Gesellschaft haben, dann steigt die Verantwortung der Einzelnen, die Weichen für Lebensstil und Gesundheit zu stellen. In der Digitalisierung greifen viele zu Werkzeugen der Quantified-Self-Bewegung, die 2007 in Kalifornien gegründet wurde. Ziel ist, mit Hard- und Software Datenströme aus persönlichen Daten auszuwerten, um mich persönlich, gesundheitlich und sportlich weiterzuentwickeln. Wer Vitaldaten über seinen Schlafrhythmus sammelt oder die Herzfrequenzvariabilität unter Belastung beobachtet, so die Idee, der könne dieses Feedback nutzen, um seinen Alltag, seine Bewegungsmuster, Ess- oder Schlafgewohnheiten zu verändern. Inzwischen finden sich auf dem Markt unzählige Self-Tracking-Angebote am Handgelenk, am Finger oder auch unter der Haut.
Die Technologie wird uns in dieser Entwicklung nicht limitieren, wir können schließlich heute schon jederzeit und überall unsere persönlichen Daten aufnehmen, auswerten lassen, vergleichen oder teilen. Bewegungsdaten, Verhaltensdaten, Transaktionsdaten, Interaktionsdaten, Biodaten: Kleine, günstig produzierbare Sensoren werden es ermöglichen, dass wir unsere Erkenntnisse mit der Umgebung verbinden, vom kleinen Me-Kosmos bis zur vernetzten Community oder der Smart City.
Profitieren von ungeschöntem Feedback
Verfechter:innen sprechen bei Big Data in der Gesundheit von Gold in unserem Vorgarten, da wir aus der Erfassung der Zustände von Individuen Muster identifizieren können, die kollektive Entwicklung vorhersagbar machen und die Vorbeugung erleichtern. Anbieter:innen im Gesundheitswesen können daraus 1:1-Angebote entwickeln. Sie profitieren von echtem, ungeschöntem Feedback statt sozial erwünschter Antworten in Marktforschungsfragebögen. In der Weiterentwicklung von Produktionsverfahren werden personalisierte Produkte entstehen, zum Beispiel meine persönliche Medizin.
Sind es die digitalen Tools, die in einer alternden Welt in wenigen Jahren zum Standard zählen? Brauchen wir viel mehr systematische, datenbasierte Selbstbeobachtung, um das Gesundheitssystem zu entlasten und personalisiertes Krankheitsmanagement zu ermöglichen?
Ich glaube ja. Ich frage mich nur, wie wir damit die Lücke überwinden, die sich heute vielleicht mit dem Begriff „innerer Schweinehund“ beschreiben lässt. Schließlich mangelt es Ärzt:innen ja auch heute nicht an Daten, um gesundheitsschädliches Verhalten ihrer Patient:innen zu identifizieren. Viele Menschen mit ungesunden Verhaltensweisen beklagen kein Defizit an Erkenntnis, wohl aber an Veränderungsbereitschaft. Wenn die mahnenden Worte und Verhaltensempfehlungen medizinischer Fachkräfte vielfach ungenutzt verhallen, wie kann es smarten Wearables gelingen, ihre Träger:innen zur Veränderung zu bewegen? Nudging? Bonus- und Malus-Regelungen? Wettbewerbsgeist? Ich freue mich schon auf neue kreative Antworten der Digital-Health-Start-ups von heute und morgen!