Purpose-driven soll das moderne Unternehmen sein, eine ethische Mission haben. Aber erwarten wir da nicht zu viel?
Vor mir entfaltet sich ein Idealbild einer Organisation voller Kundenversteher, die mit einer technologie-getriebenen Infrastruktur ihre Nutzer rundum analysieren, personalisiert exzellente Problemlösungen entwickeln und jeden Kunden liebevoll begleiten. Ein Unternehmen, vor dem Bewerber Schlange stehen, denn es agiert fair, transparent und nachhaltig. Vor allem aber wird es unsere Welt besser machen. Ob Softwarehersteller, Chemiezulieferer oder Pharmakonzern: Jeder trägt heute einen wohlklingenden Anspruch zur Rettung der Menschheit vor sich her – und der ist ähnlich austauschbar wie das Stereotyp von Schönheitspreisgewinnenden, die sich für den Weltfrieden einsetzen.
Betriebswirtschaftlich sind die meisten Unternehmen zunächst gefordert, Nutzen zu stiften. Nach außen markiert das eine wichtige Voraussetzung, damit sich Nutzer finden, die zu Kunden werden und für diesen Nutzen bezahlen, da er ein für sie relevantes Problem löst. Nach innen stiftet dieser verkaufte Nutzen Identifikation und dient der Motivation – sofern die Mitarbeiter ihn als lebensdienlich empfinden. So gesehen ist Purpose im Sinne von echtem Nutzen auch ein Teil von nachhaltiger Unternehmensführung, die vor allem die Langlebigkeit der Organisation sichern soll. Klingt einfach?
Dann dürfte es Ihnen jetzt leichtfallen, folgende Fragen für Ihre Organisation zu beantworten: Was an unserer Wertschöpfung ist wirklich nützlich – auch für nachfolgende Generationen? Und was dann würde schmerzlich vermisst, wenn wir morgen nicht mehr existieren? Worin sind wir richtig gut? Was ist unsere gemeinsame Leidenschaft im Team? Idealerweise finden Sie nicht nur Antworten, sondern auch eine enge Verknüpfung von Leidenschaft, Stärke und Wertschöpfung. Nach meiner Erfahrung ist dieses Dreieck oft kraftvoller als wohlklingende Corporate-Statements zur Weltrettung.
Bei nutzenstiftenden Organisationen erlebe ich drei Faktoren besonders ausgeprägt. Erstens: Der Visions-Elefant wird radikal in Scheiben geschnitten. Geschäftsbereich und Teams formulieren kleine Missiönchen für ihre Vorhaben, die als greifbare Motivationsanker dienen. Zweitens: Nicht nur Kunden werden personalisiert bearbeitet und damit individuell bedient, sondern auch Mitarbeiter. Das Unternehmen erkennt und sieht jeden einzelnen Menschen mit seinen Talenten und Bedürfnissen. Drittens: Das „gute Unternehmen“ wird nicht an eine höhere Vorstandsmacht oder die CSR-Abteilung delegiert, sondern liegt in den Händen guter Führungskräfte als Kulturgestalter. Die Unternehmenslenker investieren in Führung getreu dem Motto von Jack Ma, Philanthrop und Gründer des chinesischen Milliardenkonzerns Alibaba: „A good boss is better than a good company“ – „Ein guter Chef ist besser als ein gutes Unternehmen“.