Cyborgs als Feigenblatt: Rekrutierung 2.0 – Digital Woodpecker Teletalk 4/18

„Wir brauchen Digitaltalente“ – !?

Dieser Slogan begegnet mir wahlweise kämpferisch oder verzweifelt im Kontakt mit Personalbereichen. Vor meinem inneren Auge wandern dann Cyborgs vorbei, voll ausgerüstet mit heißem Scheiß und bereit, etablierten deutschen Unternehmen mit digitalen Tools neuen Sex Appeal einzuhauchen.

Wenn dieses Bild Realität wird, ist der kulturelle Bruch vorprogrammiert. Welten prallen aufeinander sobald im bunt angemalten Co-Working Space die jungen Wilden auf erfahrene Recruiter im Anzug treffen. Digitale Talente suchen nicht in erster Linie nach schicker Infrastruktur als Feigenblatt sondern nach einem neuen Führungsverständnis. Authentisch soll er sein der Kontakt und die Organisation greifbar machen. Das fängt in der Rekrutierung an und endet bei den Führungskräften.

Communities statt Stellenanzeigen
Die Zeit der Stellenanzeigen ist vorbei, es geht heute um Zugang zu Communities und Meinungsbildnern. Innovative Arbeitgebermarken richten sich neu aus: Authentisch auftreten, Zielgruppen fokussieren, verstehen was meine Mitarbeiter motiviert und welches Arbeitsumfeld sie brauchen. Active Sourcing als Zauberwort beschreibt den Trend zur Nutzerzentrierung, die von jungen Bewerbern erwartet wird. Personaler, die aktiv in diesen Communities suchen, sollten sich fragen, wie sie dort Mehrwert schaffen können statt nur die „Wanted“-Fahne zu schwenken.
Wer Zugang zu den richtigen Menschen findet, hat größere Chancen auf den persönlichen Fit. Das setzt konsequent fort, was Startup Teams früh lernen, wenn ihre Idee vom Investor auf den viel beschworenen Produkt-Market-Fit abgeklopft wird. Manch junges Unternehmen sucht heute schon Mitarbeiter über SEO-optimiertes Performance Marketing, um zielgenau Menschen anzusprechen, die ein relevantes Profil für die gesuchte Aufgabe haben.

Rapid Interviews statt Standardschreiben
Fokussiert zum Ziel, das beschreibt auch die von Erwartungen von Kandidaten im Prozess nach dem ersten Kontakt. Viele Unternehmen starten heute schon über kurze Online-Interviews mit nur 3-5 Fragen für einen ersten Check, gefolgt von einem längeren Video-Interview und in der letzten Runde einem persönlichen Gespräch vor Ort. Für digitale Unternehmer oder beispielweise junge IT-Talente können auch Chatbots für den ersten Schritt funktionieren, da die Zielgruppe gewohnt ist, als Konsument selbst mit Bots zu interagieren im Kauf- oder Serviceprozess. Angst vor anonymisierter Rekrutierung ohne Emotion und Wellenlänge? In der aktuellen Praxis sind diese Sorgen unbegründet, da digitale Assistenten nicht die Entscheidung über den Bewerber treffen, sondern den Personalern helfen, schneller zu entscheiden.

Charismatische Führer statt formaler Vorgesetzter
Neben schnellen Entscheidungen achten die Bewerber zunehmend auf Freiheitsgrade, Flexibilität und Experimentierfelder. Von Ihrem künftigen Chef wollen sie wissen, wofür er steht und was ihn bewegt. Auch er wird gescreent in sozialen Netzen, was hat er zu sagen und was sagen andere über ihn? Im Interview dreht sich schnell mal der Spieß um und bringt die Führungskraft ins Kreuzverhör: Welche Ideen will sie nach vorne bringen und mit welchem Team? Wie viele Freiräume wird sie mir geben um Neues auszuprobieren? Wie weit kann sie mich fördern, auch wenn sie meine Tools und Analysen nicht mehr versteht?
Menschen folgen Menschen: Erfolgreiche Führungskräfte in der Digitalisierung setzen nicht auf Führung per Flashmob, sie geben der Freiheit Struktur, machen Mut zum Ziel und schaffen Raum auf dem Weg.

Wir brauchen Digitaltalente? Auf jeden Fall! Am Besten solche, die verstehen, dass Digitalisierung kein Selbstzweck ist und Nutzerzentrierung nicht Raketentechnologie. Ein sicheres Mittel für mutige Menschen statt cooler Cyborgs.