In dieser Folge unserer DUB Executive-Interview Reihe DIGITAL WOODPECKER spricht Verena Fink mit dem Leiter Dr. Birger Venn-Hein und Projektleiter Victor Thoma des ERGO Innovation Labs über den Mehrwert des Innovation Labs für den ERGO Konzern und was deutsche Konzerne davon lernen können.
An der Schnittstelle zwischen der neuen digitalen und der alten analogen Welt leisten Innovation Labs Pionierarbeit für etablierte Konzerne. 2013 eröffnete die ERGO Group in Berlin ein solches Lab; seit 2016 ist es Teil von ERGO Digital Ventures, der Digital-Einheit des Versicherungskonzerns. Das Ziel: mit kleinem Budget schnell Zukunftsthemen abzuklopfen. ERGO Digital Ventures setzt dabei erfolgreich auf ein integriertes Konzept, um die Akzeptanz der Ideen aus dem Innovation Lab im operativen Geschäft zu sichern. Wie das gelingt, erklären Birger Venn-Hein, Leiter des Labs, sowie Projektleiter Victor Thoma.
DUB UNTERNEHMER-Magazin: Das ERGO Innovation Lab wurde von dem Magazin „Capital“ zu den zehn besten Digital-Laboren Deutschlands gekürt. Wie grenzen Sie sich ab vom Heer der digitalen Werkbänke anderer Konzerne?
Birger Venn-Hein: Wir sind das einzige Lab im Bereich InsureTechs auf dieser Liste. Unser Anspruch ist, Innovation nutzbar auf die Straße zu bringen. Deshalb verstehen wir uns als schaffende Einheit und verbinden uns mit den Fachabteilungen, damit unsere Prototypen im Kerngeschäft eingeführt werden, wenn sie vom Kunden akzeptiert werden.
„Schaffende Einheit“ klingt nach Werkstatt, in der gebaut wird.
Victor Thoma: Wir verstehen uns als Denk-Werkstatt mit Toolbox, um Produkte und Services bis zum Schluss durchdenken zu können. Dafür entwickeln und transferieren wir Ideen in anfassbare Prototypen. Der Endkunde oder die Fachabteilung sollen nicht nur theoretische Konstrukte ausprobieren, sondern reale Lösungen.
Innovation Labs wird gern vorgeworfen, dass sie das hart verdiente Geld aus dem Kerngeschäft für wilde Ideen verbrennen. Welchen Mehrwert bringt Ihre Einheit für den Konzern? TAL VENTURES
Venn-Hein: Klar kann man fragen, warum sich der Konzern ein Lab leisten sollte. Da stellt sich schnell die tiefer liegende Frage: Wozu Innovation? Technologien wie Blockchain entwickeln sich heute in so hoher Geschwindigkeit, dass Konzerne ebenfalls in der Lage sein müssen, schnell tief einzudringen. Unser Wertbeitrag ist, mit kleinem Budget schnell Zukunftsthemen auf Chancen für unser Business zu durchleuchten – egal ob Künstliche Intelligenz, IoT oder Voice-Assistance. Mit Experimenten für wenig Geld initial zu starten ist schon deshalb sinnvoll, weil es die Verschwendung von Zeit und Ressourcen zunächst einmal vermeiden hilft.
Thoma: Experimentierfeld sind wir nicht nur, wenn es um neue Technologien geht, sondern auch in der Frage, wie wir künftig in der ERGO Arbeit organisieren und in Teams zusammenarbeiten. Da wollen wir Vorbild sein und andere inspirieren. So hat zum Beispiel der Kundenservice Elemente von Selbstorganisation für seine Servicemitarbeiter übernommen. Wir bekommen inzwischen regelmäßig Besuch von Konzernkollegen, die sich mit unseren Experten austauschen.
Oft sterben Innovations-Ideen, wenn die Operative sie nicht umsetzt. Warum sind Sie scheinbar dagegen immun?
Venn-Hein: Nicht jedes unserer Projekte wird zum Erfolg. Wir haben aber schnell gelernt, wie wichtig es ist, die Fachabteilung früh einzubeziehen und damit schon zu Beginn den Verantwortlichen im Boot zu haben, der es später operativ übernehmen soll.
Thoma: So ist zum Beispiel ein Chatbot hier gemeinsam mit den Kollegen vom Kundenservice in Nürnberg entstanden. Das Team dort ist begeistert und arbeitet ständig an Erweiterungen, um ihn auf der Website stärker einzusetzen oder neue Use-Cases zu testen. Wichtig ist nicht nur, die Kollegen in der Entwicklung am Tisch zu haben, sondern auch deren Anforderungen und Limitierungen mitzudenken, wenn zum Beispiel operative Einheiten kein Cloud-Tool verwenden dürfen.
Sind Sie Pionier oder eher Problemlöser für Fachabteilungen?
Venn-Hein: Idealerweise beides. Unser Kernauftrag ist, uns mit neuen Technologien auseinanderzusetzen und sie zu erproben. Ist die Technik weit genug? Wäre sie für den Versicherungsfall anwendbar? Welchen Nutzen können wir damit für unsere Kunden oder Mitarbeiter stiften? Das sind unsere zentralen Fragen in Bezug auf Chancen und Risiken. Wo ist das Versicherungsgeschäft bedroht, und wohin können wir unser Geschäftsmodell entwickeln?
Thoma: Die Fachabteilung profitiert davon, wenn wir als Pioniere Produkte bauen und vertesten, die mit ihnen ausgerollt werden. Der Voice-Assistant zum Beispiel war ein Pionier und Problemlöser für unsere Vertriebskollegen, die nun durch Spracheingabe weniger Aufwand haben.
Welche Probleme lösen Sie mit Sprachsteuerung?
Thoma: Das beginnt morgens im Büro, wenn ich beim virtuellen Vertriebsassistenten die wichtigsten Infos und Testberichte abfragen kann. Und Kollegen können per Voice-Assistant Sepa-Lastschriftmandate für Kunden mit einem Satz anfordern statt mit vier Klicks im System.
Venn-Hein: Wir waren auch der erste Versicherer, der eine Versicherung – und zwar eine Reiseversicherung – komplett über Sprachsteuerung abschließbar gebaut hat.
Thoma: Für die Fachabteilung war das ein enormes Learning, wie der Produktabschluss gestaltet sein muss, damit er für solch eine Technologie funktioniert: kürzere Fragen und weniger Informationen, eindeutige Nutzenargumente auf den Punkt formuliert. Da entstehen wieder neue Mehrwerte für Kundennähe.
Woher kommen die Ideen, und wie wählen Sie diese aus?
Venn-Hein: Unsere Türen stehen immer offen. Jeder darf zu jeder Zeit Ideen einbringen. Wir entwickeln eigene Ideen im Lab, nehmen Anregungen von Kollegen auf und lassen uns befruchten vom Umfeld bis hin zu unternehmens- und branchenübergreifen- den Kooperationen mit Konzernlabs in angrenzenden Industrien.
Thoma: Wir profitieren auch von unserem Standort in der Factory Berlin, wo wir umgeben sind von Start-ups. Wir haben direkten Zugang zu Freelancern und können im Haus schnell Prototypen bauen, uns austauschen und Feedback einholen.
Ihr Vorstand Mark Klein hat gesagt, sein Job als CDO sei erledigt, wenn Digitalisierung und Innovation im Alltag jedes Mitarbeiters angekommen seien. Gilt das auch für das Innovation Lab?
Venn-Hein: Ich teile den Ansatz, dass Innovation über den gesamten Konzern stattfinden muss. Unser Auftrag im Lab ist, neuartige, meist ziemlich komplexe Technologien zu testen. Solch eine Einheit wird es auch weiterhin brauchen für spitze, technologische Bereiche in einem abgesteckten Rahmen, der deutlich kosten- günstiger funktioniert als in der Konzern- struktur.
Thoma: Wenn beispielsweise New Work in der gesamten ERGO etabliert ist, dann sollten wir uns nicht zurücklehnen, sondern fragen: Wie geht es weiter? Unsere Neugier hört nie auf.
YouTube Direct Link: https://www.youtube.com/watch?v=PIPMqBqck-g&t=1s